Wiepe wird vielfach als der ursprüngliche Name1) von Nemonien angegeben, doch so einfach ist es nicht. Zugegeben, heute wissen wir nicht mehr sehr viel über Wiepe aber einige Dinge lassen sich doch zusammen tragen.

Mindestens eine Zeit lang von 1765 bis 1787 existierten beide Orte mit den besagten Namen nebeneinander, da nachweißlich entsprechende Kirchenbucheinträge vorhanden sind. Beispielweise gab es 1785 drei Geburten in Wiepe und acht Geburten in Nemonien. Aber bereits zweihundert Jahre vorher existierten beide Dörfer parallel, wenn auch mit etwas anderen Namen und werden bei den Einnahmen der Türkensteuer 1540 am Kurischen Haff erwähnt. Ebenfalls ist auf der sogenannten Schroetter-Karte von 1802 (150KB) noch ein Wiepischer Krug eingetragen, der etwa der Lage von Wiepe entspricht.

Doch fangen wir mit den Ursprüngen an:

Ausschnitt aus der Schroetterkarte von 1802
Der Wiepische Krug

Im Jahre 1497, genauer am 24.6.1497 erhielt Georg Weyse die Handfeste für jeweils einen Krug in Gilge und Wiepe, dazu ein Wasser, die Binke genannt, an der Gilge gelegen. Aus der Handfeste geht ebenfalls hervor, dass Wiepe an dem gleichnamigen Fluss gelegen, ein Fischerdorf gewesen ist. Wo in anderen Landesteilen die Handfeste für einen Lokator als Gründungsdatum für ein Dorf oder einer Stadt galt, so war es am Kurischen Haff die Verleihung des Krugrechts durch den Orden. Somit ist Wiepe, wie auch Gilge, in diesem Sinne im Jahre 1497 gegründet worden. Aber was war im weiteren Verlauf der Geschichte geschehen, warum existierte bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Dorf Wiepe nicht mehr?

Horst-Günter Benkmann beschreibt in seinem Buch2), dass die Bewohner nach Nemonien übersiedelten. Deichbauten entlang der Gilge und Russ ab etwa 1613 und extreme Veränderungen 1779 an der Stromteilung der Memel führten dazu, dass der Wasserzufluss zur Nemonien, Tawe, Inse und Loye vermindert wurde und diese langsam verlandeten. Ebenfalls davon betroffen waren die Wiepe, das Welmwasser und die Binke, die zu den Abflüssen des Mossbruchs gehörten. Von ihnen war bald nur noch ein Teil vorhanden, sodass die Dorfaufgabe eigentlich verständlich, ja sogar zwingend erforderlich wurde. Wie soll auch ein Fischer sein Kahn zu Wasser bringen, wenn es nicht mehr da ist?

Dazu passt auch eine wunderschöne alte Ortsbeschreibung, welche mir von Frau Storek zur Kenntnis gebracht wurde. Der Artikel erschien 1728 im Band VI des "Erleutertes Preußen"3) und wurde im Jahre 1726 von Wilhelm Heinrich Beckher, Erzpriester zu Labiau, verfasst.

"Der grosse Friedrichs-Graben nimmt seinen Anfang im Wipp-Strom, welcher ein Arm ist von dem grossen Nemmonin-Strom, wie denn dieser sich in viele Armen ausbreitende weitläufftige Nemmonin-Strom an einigen Oertern andere Nahmen bekommen, als: Schalteick, Uschleick, Schnecke, Tymber, Lauck, Wippe, u.s.w. Es kommt aber dieser Wipp-Strom aus dem Nemmonin-Strom her, bey dem so genannten Hallen-Krug, welches ein wüster Krug ist, so nebst den dabey gelegenen Wiesen, der verwittibten Frauen von Hallen, einer gebohrnen von Canitzen, Erb-Frauen auff Heinrichswalde gehöret, zur lincken Hand eine viertel Meile herabgeflossen, und ist ehemals wiederum zur rechten Hand eine viertel Meile nach dem Fischer-Dorff und Krug gleiches Nahmens gegangen, woselbst er sich in Curische Haff gestürtzet, ist aber allda jetzo, nach dem der Graben gezogen und das Wasser in denselbigen geleitet worden, ziemlich verwachsen, und der Einfall in das Haff durch einen Thamm gehemmet worden. Wo sich aber dieser Wipp-Strom zur rechten Hand bey dem Fischer-Dorff Wippe ehemals gewendet hat, da fänget sich der grosse Friedrichs-Graben an, und gehet in einem Strich in die drey Meilen biß nach Labiau zu...

nordd.
Eine Wiepe war eine Stange mit einem Strohwisch (Besen), die an der Stelle eingepflanzt wurde, wo der Weg nicht betreten werden sollte. Sumpf oder anderes gefährliches Gebiet könnte ein Grund dafür gewesen sein. Umgekehrt ist solch eine Warnmarke auch in Gewässern zur Kennzeichnung von Untiefen zu finden, beispielsweise noch heute in den Fahrrinnen an der Nordsee.

mniederd.
In der mittelniederdeutschen Sprache, deren Mundarten bis in die Region um Tilsit gesprochen wurden, bedeuteten 'wippe' eigentlich etwas Gewundenes.

apreuß.
Allerdings trifft hier auch die Anmerkung von Frau Storek zu. "In früheren Zeiten wurde in dieser Region von den Bewohnern vor allem baltische Sprachen gesprochen. So bedeutet altpreußisch wipis = Ast und tatsächlich ist die Wiepe so etwas wie ein Ast der Nemonien."

Man hat zwar erst zu diesem grossen Friedrichs-Graben den so genannten Ordens-Graben gebrauchen wollen, der wie oben bereits gemeldet, in eben derselben Gegend, nemlich in der Mitte des Wipp-Stroms, obwohl etwas näher hinauff und weiter nach der lincken Hand, zu Zeiten der Ordens-Herren gestochen, auch da man ihn desfalls vermessen, in die 6000 Ruthen noch ziemlich kennbar befunden worden...man hat aber solches wegen des gar zu sumpfichten und morrastigen Ortes, und vieler anderen dabey vorgefallenen Schwierigkeiten nicht thun können, dahero man diesen so genannten Ordens-Graben verlassen, und den neuen, recht mitten in dem Fischer-Dorff Nemmonin, welches eine viertel Meile vom so genannten Hallen-Kruge ab, und nahe an dem Haff gelegen ist, zu stechen angefangen, und ihn auch albereit, eine viertel Meile lang, bey Wippen-Krug, in den Strom gleiches Nahmens gebracht, welcher kleine Canal denn noch itzo der Probe-Graben genennet wird, ob er wohl nach Wippe zu, samt dieser Helffte des Wipp-Stroms, der, wie schon gemeldet, ins Haff geflossen, meistentheils verwachsen ist. Allein da man gesehen, daß daselbst der Graben dem Curischen Haff gar zu nahe würde seyn zu stehen gekommen, so hat man auch diesen Weg verlassen müsssen. Also ist der jetzige grosse neue Graben recht in der Mitte zwischen dem jetzt genannten Probe- und Ordens-Graben gezogen..."

Abschließend möchte ich noch zwei Beispiele aus den Urkunden, mit Bezug auf Wiepe, hervorheben. Die Wortwahl erscheint uns heute vielleicht etwas merkwürdig, da wir solche Formulierungen für Ortschaften in der Gegenwart nicht mehr gebrauchen. Aber wie flexibel und schnelllebig unsere Sprache ist, hat uns die erst kürzlich zurückliegende Rechtschreibreform gezeigt.

Aus einem Protokoll von 1629:
...zwischen dem seeligen Paul Bolzen Erben in der Gielge und dem Krüger in der Wiepe, der Prunken genandt...
Aber auch die Kirchenbücher4) sprechen von:
...Davids Wingerninks des verstorbenen Mikkel Wingerninks Sohn aus der Wiepe...

Quellen:

1) Geographisches Ortsregister Ostpreußen, Lange, 2000
2) Gilge ein Fischerdorf am Kurischen Haff in Ostpreußen, Benkmann, 1995
3) Erleutertes Preußen, Band IV, Kapitel XII, Hallervord, Königsberg 1728
4) Kirchenbuch Gilge, 1770, Eintrag Nr.15

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