Nemonien/Elchwerder, hier lebten meine Urgroßeltern Anna und Georg Resenski, bis kurz vor Ende des Krieges. Mein Vater, er wohnte zu dieser Zeit mit seinen Eltern in Tapiau, besuchte sie regelmäßig und sooft es ging und ab dem sechsten Lebensjahr, in den großen Sommerferien, auch für mehrere Wochen. Die Reise dorthin war schon ein kleines Abenteuer für sich, doch im Dorf (Ortsplan 34 KB) gab es noch viel mehr Möglichkeiten, insoweit man sie nutzen durfte.
Los ging es in Tapiau, von wo aus dreimal am Tag eine Schmalspurbahn nach Labiau fuhr. Durchgerüttelt dort angekommen, ging es schnell vom Bahnhof zur Anlegestelle. Hier lag schon der Dampfer und wartete auf seine Fahrgäste. Den Großen Friedrichsgraben entlang, vorbei an den Dörfern Grabenhof, Hindenburg, Aquilla, Ludendorf, Juwendt und Heidedorf, die sich teilweise kilometerweit am Kanal entlang schlängelten, bis zur Anlegestelle Elchwerder. Diese 19 Kilometer lange Dampferfahrt ging recht gemütlich vonstatten und dauerte über drei Stunden. Die zweite Hälfte immer in Sichtweite des Haffs, wehte einem bereits die frische würzige Luft um die Nase. Mit etwas Glück, konnte man auch schon einen Keitelkahn weit draußen entdecken, von denen es im Fischerdorf Nemonien über 50 gab. Vielleicht war es sogar der Kahn von Opa Georg oder Onkel Erich.
Von der Anlegestelle beim Gasthof Gause, wo der Große Friedrichsgraben in den Nemonien einmündet, war es nur noch ein kurzer Fußmarsch, bis zum Haus. Gleich nach der kleinen Brücke über den Schulgraben kam die Post und hinter dem Hof von Bauer Schwellnuss lag auch schon das Fischerhaus der Großeltern, noch vor dem großen Doppelhaus der Familie Holländer und dem kleinen Dorfladen Driese. Von hier aus startete mein Vater seine Streifzüge durch das Dorf und in die nähere Umgebung. Am liebsten zog er mit seinem jüngsten Onkel los, wenn dieser Zeit hatte. Walter, der nur vier Jahre älter war, musste ansonsten schon kräftig am Land mithelfen. Opa war auch noch Kleinbauer und hatte einiges zu beackern, was aber in der Regel von Oma und den größeren Kindern erledigt wurde.
Oftmals wurde ein kleines Boot, von denen mehrere versteckt im Uferschilf oder zwischen den Seerosen lagen, beherzt in den breit dahinströmenden Nemonien geschoben. Doch weit kamen sie nicht, da half auch nicht in die Hände spucken oder ein deftiges Butterbrot von der Oma, denn das Boot war mit einer stabilen Kette an einem Pfosten am Ufer befestigt. Der Nemonien, der hier sehr ruhig dahin strömt, ist doch für Jungen im Alter von acht und zwölf Jahren durchaus mit einigen Gefahren verbunden. Der Aufwand aufs Haff zu müssen, um die Jungen wieder einzusammeln oder sogar mit dem Verlust des Bootes zu rechnen, rechtfertigte nicht den Abenteuerdrang der beiden. So rückte natürlich keiner den Schlüssel heraus.
Mit einer spitzen Stange bewaffnet, sollten die Fische aufgespießt werden und weil das selten gelang, tauchte schon mal der gesamte Arm mit ins Wasser, eher die drei Meter lange Stange den Grund berührte. Das Wasser des Nemonien war so klar, dass man die Fische sehr gut erkennen konnte, wie sie sich von der warmen Sommersonne verwöhnen ließen. Doch das hätten sie nicht machen sollen - denn zack! - der Arm war sowieso schon nass, war der Fisch auch schon mit der bloßen Hand gefangen.
Bootsausflüge waren auch bei den Älteren sehr beliebt. Wenn meine Großtante Gerda einmal keinen Stalldienst hatte, machte sie sich mit ihren Freundinnen einen schönen Nachmittag. Das Schifferklavier und die Mandoline im Gepäck, paddelten sie durch die schmalen Gräben rund um Elchwerder oder den Nemonien entlang. Zwei an den Rudern, die anderen an den Instrumenten, schallte bald ein fröhliches Lied über die ansonsten stille Stromlandschaft. Gelang es den Mädchen ein paar kräftige Jungs zu engagieren, ging die Fahrt sogar raus aufs Haff. Rund um den Leuchtturm machte es noch mehr Spaß und wenn die Sonne langsam im Westen zum Horizont hinab sank, kam eine beschwingte romantische Stimmung auf, an die sich heute noch gerne erinnert wird.
Die interessantesten Jungs gab es natürlich nicht im Dorf, die kannte man ja schon. Des Öfteren gab es mal hier mal dort in den Nachbardörfern Tanzabende. Am aufregendsten war für die Mädchen immer wieder das Tanzfest in Franzrode, denn dort waren am Abend viele Jungs vom nahen Arbeitsdienst versammelt. Damals, wie heute, war es der Traum vieler Mädchen von einem schnieken Kerl über die Tanzfläche in den siebten Himmel entführt zu werden. Vielleicht der Junge auf der Treppe mit den blauen Augen oder der da hinten mit dem feschen Haarschnitt. Schließlich hatte jede die Aufmerksamkeit eines Jungen für sich gewonnen und so wurde es wieder ein gelungener Abend.
Wenn es dann leider nach vielen aufregenden Stunden nach Hause ging, war es meist schon spät. Am Friedrichsgraben musste erstmal der Fährmann aus dem Bett geholt werden. Ein wenig knurrig, aber wer mag es schon, mitten in der Nacht sein wohlverdienten Schlaf zu unterbrechen, setzte er die Gruppe über, bevor sie den Heimweg fortsetzten konnten. Endlich müde im Bett, war die Nacht nur kurz. Mutter schimpfte zwar nicht, hatte aber so ihre Eigenart. Wecken zum Stalldienst war extra eine Stunde früher, die kleine Strafe fürs Unpünktlichsein.
Es gab aber auch andere Zeiten am Kurischen Haff, wie etwa den Winter. Die Flüsse und das Haff waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt und es ging hinaus zum Eisfischen.
So, jetzt ist genug erzählt und für jene, die es lieber ruhiger und trockener mögen, hier zum Abschluss noch einige Daten des kleinen Haffdorfes durch die vergangene Zeit der Jahrhunderte.
Stand | Einwohner | Häuser | Haushalte | Fläche (Ha) |
---|---|---|---|---|
Weihnachten 1540 | 7 | |||
1.12.1895 | 1232 | 95 | 271 | 791 |
16.6.1925 *1930 | 973 | 107 | 236 | 795 * |
1939 | 1048 |
um 1540 | Mimelin |
um 1749 | Nemonyn |
um 1760 | Nemonien |
Namensänderung am 16.7.1938 | Elchwerder |
Namensänderung nach 1945 | Golovkino |
In einigen Quellen wird auch Wiepe als ursprünglicher Name für Nemonien genannt, was aber nicht richtig ist. Hierüber geben die Dorfnamen bei der Türkensteuererhebung 1540 und die Henneberger Landtafel, sowie eine Beschreibung der Gegend von Wilhelm Heinrich Beckher hinreichend Aufschluss.
Quellen:
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